Saint-Émilion-Klassifikation: Wer? Wie? Warum?

Saint-Émilion-Klassifikation: Wer? Wie? Warum?

Eigentlich ist der Bordeaux-Appellation Saint-Émilion mit ihrer eigenen Klassifikation ein sehr großer Wurf gelungen. Die Qualitäten und das Renommee der einzelnen Châteaux sind dank ihr auf den ersten Blick ersichtlich. Und nicht nur das! Denn mit dem Unterschied zwischen Premier Grand Cru Classé A und B ist es die detaillierteste und genaueste Klassifikation auf der ganzen Welt. Das ist schon sehr beeindruckend. Trotzdem sorgte in den vergangenen 17 Jahren der eine oder andere Eklat dafür, dass die Klassifizierungsreputation ein wenig litt.

So lassen sich etwa legendäre Châteaux wie Ausone und Cheval Blanc inzwischen bewusst nicht mehr klassifizieren. Und dann gab’s da auch noch kurz die Aufregung rund um das Château Angélus. Aber um das alles richtig einordnen zu können, fangen wir am besten mal ganz von vorne an. Denn dass Saint-Émilion eine derart ausgeklügelte Klassifizierung hat, ist wahrlich keine Selbstverständlichkeit.

Saint-Émilion-Klassifikation: Wie alles begann

Fast ein Vierteljahrhundert kämpften die Winzer vom Rechten Ufer der Gironde dafür, ein Klassifizierungssystem wie ihre Kollegen im Médoc, also die vom Linken Ufer, zu bekommen. Nur eben ein wenig besser und moderner und individueller. Als im Médoc im Jahr 1855 anlässlich der Weltausstellung in Paris die Einteilung in Grand Cru und Premier Cru für die Château veröffentlicht wurde, ging das komplette Rechte Ufer leer aus. Was die übergangenen Winzer erst einmal nicht groß juckte. Das Leben besteht eben aus Wein – und nicht aus einem Status.

Doch genau dieser Status verkaufte sehr schnell den Médoc-Wein sehr gut. Preise und Prestige stiegen rapide. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis auch das Rechte Ufer etwas von diesem Erfolgskuchen abhaben wollte. Und auch ein eigenes Renommee, das mindestens ebenso ehrwürdig und elitär ist wie die Médoc-Klassifizierung. Deswegen machten sich die Winzer ab 1930 für ein eigenes Saint-Émilion-Klassifikationssystem stark, das dann vom regionalen Weinbauverband 1954 verabschiedet und 1955 erstmals gültig war. Also genau 100 Jahre, nachdem man das Médoc klassifizierte.

Besonderheiten der Saint-Émilion-Klassifikation

Wobei die Klassifizierung in Saint-Émilion jetzt kein reiner Médoc-Abklatsch war. Zum einen ist die Klassifikation mit der eigenständigen Appellation Saint-Émilion Grand Cru hier nämlich in das Appellationssystem integriert. Zum anderen bezieht die Klassifizierung nicht nur das Château und dessen Grand Vin in die Bewertung mit ein, sondern auch die Rebflächen. Wenn diese zum Beispiel erweitert werden, kann man seine Klassifizierung verlieren. So geschehen im Jahr 1986 mit dem Château Beau-Séjour-Bécot, das man deswegen von Premier Grand Cru Classé B auf Grand Cru Classé zurückstufte. Und das sind noch nicht alle Unterschiede! Denn tatsächlich teilt sich die Oberliga noch einmal in Premier Grand Cru Classé A und B auf. Uff! Es versteht sich von selbst, dass Classé A so selten ist wie ein vierblättriges Kleeblatt. Jahrzehntelang fand man an der obersten Klassifikationsspitze lediglich zwei Namen. Ausone und Cheval Blanc. Und genau diese haben sich bei der letzten Klassifikation im Jahr 2022 erst gar nicht beworben und dementsprechend ihren Status verloren!

Moment einmal! Beworben? Ja, genau. Womit wir jetzt bei dem größten Unterschied zur Médoc-Klassifizierung wären. Denn anders als im Médoc ist die Klassifizierung am Rechten Ufer nicht starr, sondern wird alle zehn Jahre neu bewertet. Gut, auch im Médoc ist nicht alles unumgänglich in Stein gemeißelt. So stieg schließlich 1973 nach Jahrzehnten des Qualitätskampfes das Château Mouton Rothschild zum Premier Cru Classé auf. So etwas passiert im Médoc aber tatsächlich nur alle Jubeljahre. In Saint-Émilion hingegen haben die Châteaux alle zehn Jahre die Chance, aufzusteigen. Oder laufen Gefahr, herabgestuft zu werden. Denn man muss sich tatsächlich immer wieder neu für eine Klassifikation bewerben. Genau das ist einmalig in der Weinwelt.

Ein paar Klassifizierungs-Details

1955 kam die erste Saint-Émilion-Klassifikation heraus. Mit Ausone und Cheval Blanc an der bereits erwähnten A-Spitze. Die B-Riege war mit neun Châteaux bestückt und 64 Weingüter erhielten den Status Grand Cru Classé. Diese Klassifizierung wurde übrigens erst 1958 veröffentlicht, weswegen die nächste Ranking-Runde erst 1969 stattfand. Sie sehen: mit dem Zehnjahres-Rhythmus nahm man es nie so ganz genau. Auch wenn er nach wie vor offiziell existiert. Jedenfalls wurden 1969 insgesamt schon 84 Weingüter klassifiziert. Bereits damals erkannte man bereits den hohen Vermarktungswert, den die Klassifizierung mit sich brachte. Deswegen legte man 1984 fest, dass maximal 90 Châteaux eingestuft werden dürfen. Also in der Theorie. In der Praxis waren es seit diesem Beschluss immer nur zwischen 61 und 82 – je nach Jahr.

Warum es bei der Anzahl nie eine Kontinuität gab? Weil sich zum einen die Jury immer anders zusammensetzte und zum anderen die Bewerbung für die Klassifizierung inzwischen richtig viel Geld kostet. Nämlich zwischen 12.000 und 14.000 Euro – je nachdem, für was man sich bewirbt. Offengelegt wurden diese Gebühren vom Institut national des appellations d’origine (INAO, Staatliches Institut für Herkunftsbezeichnungen). Denn seit 2012 ist das INAO höchstselbst für die Saint-Émilion-Klassifizierung verantwortlich

Klassifikationswirrwarr in Saint-Émilion

Springen wir ins Jahr 2006. Damals stufte die Klassifikations-Kommission einige Weingüter zurück. Die vier deklassierten Châteaux Cadet-Bon, Guadet, La Marzelle und La Tour-du-Pin-Figeac fochten die Ergebnisse beim Verwaltungsgericht in Bordeaux an. Begründung: Die Weine der bereits klassifizierten Châteaux wurden zuerst verkostet – dann erst alle anderen. Es fand also keine reine Blindprobe mehr statt. Das Gericht gab den Klagenden Recht – und löste ein waschechtes Wirrwarr aus.

Zuerst wurde die Klassifikation 2006 außer und jene von 1996 in Kraft gesetzt, dies wieder verworfen und neuerlich die 2006 erfolgte Hochstufung von acht Châteaux bestätigt, dies wiederum verworfen und schließlich am 13. Mai 2009 eine „endgültige“ Entscheidung getroffen. Nun war wieder die Klassifikation 1996 gültig. In einer Fußnote wurde aber bemerkt, dass die 2006 hochgestuften acht Châteaux (sechs Grand Cru Classé und zwei Premier Grand Cru Classé B) ihren neuen Rang behalten dürfen. Uff. Was für ein Chaos! Selbst in Saint-Émilion stieg man da nicht mehr ganz durch – die Weinwelt dann erst recht nicht. Genau das kratzte damals bereits mächtig am Prestige der Klassifikation. Um selbiges wieder aufzupolieren, setzte man halt das INAO als klassifizierendes Gremium in Saint-Émilion ein.

Räumt das INAO in Saint-Émilion auf?

 

In der Theorie hätte die Klassifizierung durch das INAO eigentlich eine schöne Sache sein können. Das Institut bildete eine Jury aus sieben Degustatoren. Um die Unabhängigkeit zu gewährleisten, waren keine Mitglieder vom Saint-Émilion-Syndicat oder des Bordeaux-Weinhandels darunter, sondern Fachleute aus Burgund, Champagne, Loire, Provence und Rhône. Einen Fehler machte man hier aber dann aber doch. Denn Weingutsbesitzer aus Saint-Émilion waren halt auch dabei. Aber erst einmal zurück zur Klassifizierungs-Novellierung. Die Weinbewertung erfolgte mittels Blindverkostung mit einem 20-Punkte-System. Für die Grand Cru Classé waren zumindest 14, für die Premier Grand Cru Classé zumindest 16 Punkte erforderlich. So weit, so normal.

Die Jury gab sich besonders milde. Drei der vier zuvor deklassierten Châteaux wurden hochgestuft. Nur La Tour-du-Pin-Figeac ging erneut leer aus. Zudem kam es zu nur einer neuen Deklassifizierung. Das Château Corbin-Michotte verlor seinen Status. Natürlich wurde sofort wieder geklagt. Ein Rechtsstreit, der übrigens erst 2015 seinen Abschluss fand. Dieses Mal unterlagen die Winzer allerdings. Das stärkte zwar die Position der Jury, änderte aber nichts daran, dass schon wieder ein Image-Schaden entstanden war.

Château Angélus mischt mit

Aber es geht noch weiter! 2012 stiegen mit Château Angélus und Château Pavie erstmals seit Beginn der Saint-Émilion-Klassifizierung zwei Weingüter in den A-Status auf. Ausone und Cheval Blanc waren nicht mehr allein! Womit wir jetzt bei einem pikanten Detail wären. Denn ganz so unabhängig, wie die Jury angeblich gewesen sein soll, war sie dann wohl doch nicht. Vorsitzender der Kommission war niemand Geringeres als Hubert de Boüard. Also der Besitzer von Château Angélus – und noch ein paar weiteren Saint-Émilion-Weingütern. Rein zufällig stiegen alle seine Châteaux auf.

Im Oktober 2021 wurde de Boüard deswegen von einem Gericht zu einer hohen Geldstrafe von mehreren zehntausend Euro verdonnert. Außerdem legte man ihm nahe, dass er sich mit seinem Château Angélus 2022 nicht erneut für den Status Premier Grand Cru Classé A bewerben sollte. Was er dann auch nicht tat. Wobei es dadurch nicht unbedingt ruhiger um die Saint-Émilion-Klassifikation wurde.

Cheval Blanc und Ausone steigen aus

Vor der Klassifizierung im Jahr 2022 änderte das INAO nämlich die Bewertungskriterien. Nicht nur der Grand Vin und das Terroir standen jetzt im Vordergrund, sondern zum Beispiel auch, wie nachhaltig ein Weingut bewirtschaftet wird. Das allein wäre für die meisten Winzer wohl noch voll okay gewesen. Allerdings sollte jetzt zum Beispiel auch der Social-Media-Auftritt der Châteaux mit in die Beurteilung einfließen. Oder die touristischen Bemühungen im Allgemeinen. Für Pierre Lurton und Pierre-Olivier Clouet, Direktor und technischer Direktor von Cheval Blanc, brachte diese Änderung das Fass zum Überlaufen. Sie kündigten umgehend an, dass sich Cheval Blanc nicht mehr als Premier Grand Cru Classé A bewerben werde und ließen in einer Pressemitteilung verlauten: „Das Bewertungsraster ist zu weit entfernt von dem, was uns fundamental erscheint: Terroir, Wein und Geschichte.“ Andere sekundäre Elemente würden zu viel Bedeutung einnehmen, erklärten die beiden ihren Schritt.

Parallel machte auch Ausone, also das andere Classé-A-Urgestein, klar, dass man sich in den neuen Bewertungskriterien nicht wiederfinde – und trat ebenfalls den Rückzug an. Auch hier fand Leiterin Pauline Vauthier in der dazugehörigen Presseerklärung deutliche Worte: „Terroir und Verkostung nehmen einen zu kleinen Teil der Bewertung ein, aber für einen Wein wie Ausone sind sie zentral.“ Gleichzeitig betonte Vauthier jedoch, dass sich das Château Ausone nicht in einer Position über dem Ranking sehe oder dieses nicht brauche, „das wäre furchtbar prätentiös“. Sie würden sich schlichtweg nicht mehr in den Kriterien wiedererkennen. Bäm! Diesen Paukenschlag konnte man bis in den letzten Winkel der Weinwelt hören.

Das Renommee bleibt

Bei all diesem medienwirksamen Wirbel ging es 2022 ein wenig unter, dass jetzt, neben dem Château Pavie, ganz neu und frisch das Château Figeac den Status Premier Grand Cru Classé A innehat. Und das ist sehr verdient, wie wir finden. Bleibt zu hoffen, dass sich die Querelen rund um die Klassifizierung jetzt bald endlich beruhigen. Denn eigentlich ist sie ja eine wirklich gute und wichtige Sache für Saint-Émilion – und das Renommee ist nach wie vor da.

 

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