Die Klassifizierung des Saint-Émilion: wer? wie? warum?

Die Klassifizierung des Saint-Émilion: wer? wie? warum?

Die Bordeaux-Appellation Saint-Emilion hat mit ihrer eigenen Klassifizierung tatsächlich einen großen Erfolg erzielt. Die Qualitäten und das Renommee der einzelnen Châteaux sind dank ihr sofort ersichtlich. Und nicht nur das! Mit der Unterscheidung zwischen Premier Grand Cru Classé A und B handelt es sich um die detaillierteste und präziseste Klassifizierung der Welt. Das ist sehr beeindruckend. Dennoch hat der Ruf der Klassifizierung in den letzten zwei Jahrzehnten aufgrund des einen oder anderen Skandals etwas gelitten.

Legendäre Châteaux wie Ausone und Cheval Blanc zum Beispiel sind inzwischen bewusst nicht mehr klassifiziert. Und dann war da noch der kurze Aufruhr um Château Angélus. Aber um das alles in die richtige Perspektive zu rücken, sollten wir ganz am Anfang beginnen. Dass Saint-Émilion über ein so ausgeklügeltes Klassifizierungssystem verfügt, ist sicher keine Selbstverständlichkeit.

Saint-Émilion-Klassifikation: Wie alles begann

Fast ein Vierteljahrhundert kämpften die Winzer vom Rechten Ufer der Gironde dafür, ein Klassifizierungssystem wie ihre Kollegen im Médoc, also die vom Linken Ufer, zu bekommen. Nur eben ein wenig besser und moderner und individueller. Als im Médoc im Jahr 1855 anlässlich der Weltausstellung in Paris die Einteilung in Grand Cru und Premier Cru für die Château veröffentlicht wurde, ging das komplette Rechte Ufer leer aus. Was die übergangenen Winzer erst einmal nicht groß juckte. Das Leben besteht eben aus Wein – und nicht aus einem Status.

Doch genau dieser Status verkaufte sehr schnell den Médoc-Wein sehr gut. Preise und Prestige stiegen rapide. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis auch das Rechte Ufer etwas von diesem Erfolgskuchen abhaben wollte. Und auch ein eigenes Renommee, das mindestens ebenso ehrwürdig und elitär ist wie die Médoc-Klassifizierung. Deswegen machten sich die Winzer ab 1930 für ein eigenes Saint-Émilion-Klassifikationssystem stark, das dann vom regionalen Weinbauverband 1954 verabschiedet und 1955 erstmals gültig war. Also genau 100 Jahre, nachdem man das Médoc klassifizierte.

Besonderheiten der Klassifizierung des Saint-Émilion

Die Klassifizierung in Saint-Émilion war keine bloße Kopie der Médoc-Klassifizierung. Zum einen ist hier die Klassifikation mit der eigenständigen Bezeichnung Saint-Émilion Grand Cru in das Appellationssystem integriert. Zum anderen bezieht die Klassifikation nicht nur das Château und seinen Grand Vin in die Bewertung ein, sondern auch die Weinberge. Werden diese beispielsweise erweitert, kann man seine Klassifizierung verlieren. Dies geschah 1986 mit Château Beau-Séjour-Bécot, das deshalb von Premier Grand Cru Classé B auf Grand Cru Classé zurückgestuft wurde. Und das sind noch nicht alle Unterschiede! Die oberste Liga ist nämlich weiter unterteilt in Premier Grand Cru Classé A und B. Puh! Es versteht sich von selbst, dass die Classé A so selten ist wie ein vierblättriges Kleeblatt. Jahrzehntelang gab es nur zwei Namen an der Spitze der Klassifizierung: Ausone und Cheval Blanc. Und genau diese beiden haben sich bei der letzten Klassifizierung im Jahr 2022 gar nicht erst beworben und damit ihren Status verloren!

Damit kommen wir zum größten Unterschied zwischen der Saint-Émilion-Klassifizierung und der Médoc-Klassifizierung. Anders als im Médoc ist die Klassifizierung im rechten Ufer nicht starr, sondern wird alle zehn Jahre neu bewertet. Nun, auch im Médoc ist nicht alles in Stein gemeißelt. Nach jahrzehntelangem Qualitätswettbewerb stieg Château Mouton Rothschild 1973 schließlich zum Premier Cru Classé auf. Aber im Médoc passiert so etwas nur alle Jubeljahre einmal. In Saint-Émilion hingegen haben die Châteaux alle zehn Jahre die Chance, befördert zu werden. Oder sie laufen Gefahr, zurückgestuft zu werden. Denn man muss sich tatsächlich immer wieder neu um eine Klassifizierung bewerben. Das macht sie einzigartig in der Weinwelt.

Ein paar Details zur Klassifizierung

Die erste Klassifizierung von Saint-Émilion wurde 1955 veröffentlicht. Ausone und Cheval Blancstanden, wie bereits erwähnt, an der Spitze der A-Liste. Die B-Liste bestand aus neun Châteaux, und 64 Weinberge erhielten den Status eines Grand Cru Classé. Diese Klassifizierung wurde erst 1958 veröffentlicht, weshalb die nächste Runde der Klassifizierung erst 1969 stattfand. Wie man sieht, wurde der Zehnjahreszyklus nie allzu ernst genommen, auch wenn er offiziell noch existiert. Auf jeden Fall wurden 1969 insgesamt 84 Weinberge klassifiziert. Schon damals wurde der hohe Marketingwert, den die Klassifizierung mit sich brachte, erkannt. Deshalb wurde 1984 beschlossen, dass maximal 90 Châteaux klassifiziert werden können. Zumindest theoretisch. In der Praxis lag die Zahl jedoch immer zwischen 61 und 82, je nach Jahr.

Warum hat es nie eine Kontinuität in der Zahl gegeben? Weil zum einen die Jury immer anders zusammengesetzt war und zum anderen die Bewerbung um eine Klassifizierung inzwischen viel Geld kostet. Rund 15.000 Euro, je nachdem, wofür man sich bewirbt. Diese Gebühren wurden vom Institut national des appellations d'origine (INAO, Nationales Institut für Herkunftsbezeichnungen) bekannt gegeben. Seit 2012 ist das INAO selbst für die Klassifizierung des Saint-Émilion zuständig.

Klassifikationswirrwarr in Saint-Émilion

Springen wir ins Jahr 2006. Damals stufte die Klassifikations-Kommission einige Weingüter zurück. Die vier deklassierten Châteaux Cadet-Bon, Guadet, La Marzelle und La Tour-du-Pin-Figeac fochten die Ergebnisse beim Verwaltungsgericht in Bordeaux an. Begründung: Die Weine der bereits klassifizierten Châteaux wurden zuerst verkostet – dann erst alle anderen. Es fand also keine reine Blindprobe mehr statt. Das Gericht gab den Klagenden Recht – und löste ein waschechtes Wirrwarr aus.

Zuerst wurde die Klassifikation 2006 außer und jene von 1996 in Kraft gesetzt, dies wieder verworfen und neuerlich die 2006 erfolgte Hochstufung von acht Châteaux bestätigt, dies wiederum verworfen und schließlich am 13. Mai 2009 eine „endgültige“ Entscheidung getroffen. Nun war wieder die Klassifikation 1996 gültig. In einer Fußnote wurde aber bemerkt, dass die 2006 hochgestuften acht Châteaux (sechs Grand Cru Classé und zwei Premier Grand Cru Classé B) ihren neuen Rang behalten dürfen. Uff. Was für ein Chaos! Selbst in Saint-Émilion stieg man da nicht mehr ganz durch – die Weinwelt dann erst recht nicht. Genau das kratzte damals bereits mächtig am Prestige der Klassifikation. Um selbiges wieder aufzupolieren, setzte man halt das INAO als klassifizierendes Gremium in Saint-Émilion ein.

Räumt das INAO in Saint-Émilion auf?

 

In der Theorie hätte die Klassifizierung durch das INAO eigentlich eine schöne Sache sein können. Das Institut bildete eine Jury aus sieben Degustatoren. Um die Unabhängigkeit zu gewährleisten, waren keine Mitglieder vom Saint-Émilion-Syndicat oder des Bordeaux-Weinhandels darunter, sondern Fachleute aus Burgund, Champagne, Loire, Provence und Rhône. Einen Fehler machte man hier aber dann aber doch. Denn Weingutsbesitzer aus Saint-Émilion waren halt auch dabei. Aber erst einmal zurück zur Klassifizierungs-Novellierung. Die Weinbewertung erfolgte mittels Blindverkostung mit einem 20-Punkte-System. Für die Grand Cru Classé waren zumindest 14, für die Premier Grand Cru Classé zumindest 16 Punkte erforderlich. So weit, so normal.

Die Jury gab sich besonders milde. Drei der vier zuvor deklassierten Châteaux wurden hochgestuft. Nur La Tour-du-Pin-Figeac ging erneut leer aus. Zudem kam es zu nur einer neuen Deklassifizierung. Das Château Corbin-Michotte verlor seinen Status. Natürlich wurde sofort wieder geklagt. Ein Rechtsstreit, der übrigens erst 2015 seinen Abschluss fand. Dieses Mal unterlagen die Winzer allerdings. Das stärkte zwar die Position der Jury, änderte aber nichts daran, dass schon wieder ein Image-Schaden entstanden war.

Château Angélus mischt mit

Aber es geht noch weiter! 2012 stiegen mit Château Angélus und Château Pavie erstmals seit Beginn der Saint-Émilion-Klassifizierung zwei Weingüter in den A-Status auf. Ausone und Cheval Blanc waren nicht mehr allein! Womit wir jetzt bei einem pikanten Detail wären. Denn ganz so unabhängig, wie die Jury angeblich gewesen sein soll, war sie dann wohl doch nicht. Vorsitzender der Kommission war niemand Geringeres als Hubert de Boüard. Also der Besitzer von Château Angélus – und noch ein paar weiteren Saint-Émilion-Weingütern. Rein zufällig stiegen alle seine Châteaux auf.

Im Oktober 2021 wurde de Boüard deswegen von einem Gericht zu einer hohen Geldstrafe von mehreren zehntausend Euro verdonnert. Außerdem legte man ihm nahe, dass er sich mit seinem Château Angélus 2022 nicht erneut für den Status Premier Grand Cru Classé A bewerben sollte. Was er dann auch nicht tat. Wobei es dadurch nicht unbedingt ruhiger um die Saint-Émilion-Klassifikation wurde.

Cheval Blanc und Ausone steigen aus

Vor der Klassifizierung im Jahr 2022 änderte das INAO nämlich die Bewertungskriterien. Nicht nur der Grand Vin und das Terroir standen jetzt im Vordergrund, sondern zum Beispiel auch, wie nachhaltig ein Weingut bewirtschaftet wird. Das allein wäre für die meisten Winzer wohl noch voll okay gewesen. Allerdings sollte jetzt zum Beispiel auch der Social-Media-Auftritt der Châteaux mit in die Beurteilung einfließen. Oder die touristischen Bemühungen im Allgemeinen. Für Pierre Lurton und Pierre-Olivier Clouet, Direktor und technischer Direktor von Cheval Blanc, brachte diese Änderung das Fass zum Überlaufen. Sie kündigten umgehend an, dass sich Cheval Blanc nicht mehr als Premier Grand Cru Classé A bewerben werde und ließen in einer Pressemitteilung verlauten: „Das Bewertungsraster ist zu weit entfernt von dem, was uns fundamental erscheint: Terroir, Wein und Geschichte.“ Andere sekundäre Elemente würden zu viel Bedeutung einnehmen, erklärten die beiden ihren Schritt.

Parallel machte auch Ausone, also das andere Classé-A-Urgestein, klar, dass man sich in den neuen Bewertungskriterien nicht wiederfinde – und trat ebenfalls den Rückzug an. Auch hier fand Leiterin Pauline Vauthier in der dazugehörigen Presseerklärung deutliche Worte: „Terroir und Verkostung nehmen einen zu kleinen Teil der Bewertung ein, aber für einen Wein wie Ausone sind sie zentral.“ Gleichzeitig betonte Vauthier jedoch, dass sich das Château Ausone nicht in einer Position über dem Ranking sehe oder dieses nicht brauche, „das wäre furchtbar prätentiös“. Sie würden sich schlichtweg nicht mehr in den Kriterien wiedererkennen. Bäm! Diesen Paukenschlag konnte man bis in den letzten Winkel der Weinwelt hören.

Der Ruf bleibt

In all dem Medienrummel ging im Jahr 2022 ein wenig unter, dass neben Château Pavie nun auch Château Figeac den Status eines Premier Grand Cru Classé A erhalten hat. Und wir finden, das hat es verdient. Hoffen wir, dass sich die Querelen um die Klassifizierung endlich bald beruhigen werden. Denn eigentlich ist es eine wirklich gute und wichtige Sache für Saint-Émilion - und der Ruf ist immer noch da.

 

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